Im globalem Kampf: Eine Einsicht und die Schlussfolgerung

Text

Marcus Mex

Veröffentlicht

11.8.2024

Aktualisiert

6.3.2025

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die Menschen Europas ein klares Bedürfnis: in Frieden zu leben. Die Schrecken und das unendliche Leid des Krieges hatten diese Sehnsucht in den Menschen entstehen, ja riesig werden lassen. Der Vorteil von großen Bedürfnissen: Sie führen zu einer entsprechenden Motivation, diese Bedürfnisse zu befriedigen. So kam es im Nachkriegs-Europa zu einer riesengroßen kollektiven Triebkraft. Es folgte die längste und stabilste Phase von weitreichendem Frieden und dabei nie zuvor da gewesenem Wohlstand in der europäischen Geschichte!

Hierbei haben sich diese beiden Aspekte, Frieden und Wohlstand, gegenseitig verstärkt: Der Frieden schaffte Sicherheit, die Basis für Vertrauen und den Aufbau von stabilen Strukturen. Diese sind ihrerseits die entscheidende Grundlage für das Entstehen von Wohlstand, weil sie ein vertrauensvolles Miteinander der Akteure einer Gesellschaft ermöglichen und dabei Kosten (von Unsicherheit) reduzieren.

Im Gegenzug hat der entstandene Wohlstand den Menschen weitere Sicherheit gegeben, die wiederum die entscheidende Zutat für (sozialen) Frieden ist.

Insgesamt eine Dualität von Struktur und Prozess, um es mit dem englischen Soziologen Anthony Giddens zu formulieren.

Erfolg gebärt Misserfolg

All dies hat allerdings auch eine andere, unbeabsichtigte und meist auch ungesehene Folge. Success breeds failure: Erfolg gebärt Misserfolg. Erfolg wird als etwas Positives bewertet und dabei gern auf die eigenen Fähigkeiten zurückgeführt (weil sich dies ja auch gut anfühlt im Sinne einer positiven Selbsterfahrung). Dies gilt für Menschen im Einzelnen, genauso wie für ganze Gesellschaften.

Dabei übersehen wir gern zwei Aspekte, die so gar nichts mit unseren Fähigkeiten zu tun haben: Zufälle und externe Faktoren. Beide spielen bei jedem Handeln eine Rolle – und sind so auch immer Mitursachen von Erfolg. Sehr selten rechnen wir diese beiden Aspekte aus unserer persönlichen Erfolgsbilanz heraus. Erfolge regen einfach nicht zur Reflexion an. Stattdessen freuen wir uns, wie toll wir sind.

Unbewusst und ungesehen schleicht sich so eine gewisse Bequemlichkeit (und bisweilen Arroganz) ein, können wir uns doch so perfekt suggerieren, wir hätten alles unter Kontrolle und es könne uns nichts passieren. Die Folge: Trägheit. Und dann Leichtsinnigkeit im Handeln und Blindheit bei der Beobachtung aufkommender Gefahren. Erfolg gebärt Misserfolg.

Nun gibt es sehr gute Gründe, genau eine solche Entwicklung auch Europa zu attestieren, und zwar in zweierlei Hinsicht.

Erstens haben uns die Jahrhunderte langen Auseinandersetzungen mit dem Final des Zweiten Weltkrieges gelehrt, dass ein Gegeneinander langfristig nur ins Verderben führt. In der Folge hat Europa auf Kooperation umgestellt – und ist mit eben der Prosperität belohnt worden, die wir alle kennen – und genießen. Genau dies jedoch hat uns blind werden lassen, dass es Menschen bzw. Systeme gibt, die diese Erfahrung nicht haben und deswegen anders denken und handeln. Die nicht in der Kategorie der Kooperation denken wie wir, sondern in der von Auseinandersetzung und einem Gegeneinander. Und dies auch in kriegerischer Weise, wie uns seit drei Jahren in der Ukraine brutalst möglich vor Augen geführt wird.

Und zweitens gehört zur Wahrheit der europäischen Prosperität und des jahrzehntelangen Friedens, dass es einen erheblichen (wenn nicht sogar entscheidenden) externen Faktor gab: der Beitrag der USA. Und zwar erst in der Herstellung des Friedens durch den Sieg über den Faschismus – und dann in der Hilfestellung beim Wiederaufbau, insbesondere in Deutschland. Und da letzteres einer der wirtschaftlichen Motoren Europas ist, hat dies einen entsprechenden Einfluss auf die Entwicklung von ganz Europa entfaltet.

Sehr lange nehmen wir nun unseren Erfolg und unsere Prosperität und unseren Frieden als eine Selbstverständlichkeit hin – und verlassen uns darauf, ohne zu reflektieren, dass dies weder vollständig unsere Leistung ist – noch uns dies garantiert ist.

"Nichts ist hilfreicher als eine Herausforderung, um das Beste in einem Menschen hervorzubringen."

Sir Thomas Sean Connery, schottischer Schauspieler

Long story short: Wir in Europa pflegen eine Denkweise der Kooperation, die aus unserer Historie verständlich ist, jedoch keine ausreichend viable (passende) Sichtweise auf die globale Wirklichkeit darstellt. Und das tun wir noch dazu mit einem Selbstverständnis, dass wir uns dies allein erarbeitet haben, es uns zusteht – und auch so bleiben wird. Success breeds failure.

Die Evolutionstheorie von Charles Darwin (ein Europäer!) lehrt uns allerdings, dass Arten, die nicht viabel an ihre Umwelt angepasst sind, in eine Bedrohungslage geraten können. Was also tun?

Schluss mit dem Lamento – kommen wir ins Handeln

‚Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung‘ heisst es so schön im Deutschen. Öffnen wir also die Augen – und vor allem: unsere Köpfe! Schauen wir über unseren Tellerrand: Die Akteure der Welt sinnen nicht alle auf das Gute und sind nicht alle Anhänger von Kooperation. Und nichts von dem, was wir haben, ist selbstverständlich und garantiert. Viel eher befinden wir uns in einem immer währenden und dazu globalen Kampf, den es zu kämpfen gilt, wenn wir unsere Errungenschaften erhalten wollen. Wir mögen dies schade finden. Oder bedrohlich. Oder ungerecht. Oder alles zusammen. Es mag uns wütend machen (inklusive der Aussage darüber). Wir mögen uns deswegen am liebsten die Augen und Ohren zuhalten wollen – oder die Aussage empört zurückweisen. Ändern allerdings wird das an dem Fakt nichts. Gar nichts.

Machen wir uns also endlich ehrlich und verstehen, dass es genau einen einzigen Akteur gibt, der für unsere Belange und unser Wohlergehen verantwortlich ist: wir selbst! Niemand anderes. Und ja, dass heisst konkret auch: Jede und jeder Einzelne von uns, denn Europa ist kein abstraktes Gebilde, sondern vielmehr die Summe von uns allen! Das bedeutet auch: Hören wir endlich auf mit der Opferrolle und der Unsäglichkeit, die Verantwortung immer bei den anderen zu suchen (Politiker sind ja hier gern genommen). Schluss mit dem Lamentieren über Ungerechtigkeiten und ähnlichem. Noch einmal: Es ist an uns – und jeder und jedem Einzelnen von uns!

Sehr hilfreich hierbei ist, wenn wir uns im konkreten Vorgehen (wieder) auf eine andere europäische ‚Erfindung’ besinnen: die der guten alten Strategie in der Prägung des Preussischen Generals Carl von Clausewitz (noch ein Europäer!). Schauen wir, wer unsere Truppen sind, wo sie stehen und vor allem was wir können, was unsere Fähigkeiten sind! Und ja auch, was wir nicht gut können und welche Möglichkeiten wir haben, diese Schwächen abzudecken. Und schauen überdies darauf, wer uns gegenübersteht – und was deren Stärken und Schwächen sind, und wie wir dies zu unserem Vorteil nutzen können. Lernen wir (wieder) für uns und unsere Interessen einzustehen und dies strategisch zu handhaben!

Kurzum: Kommen wir endlich ins Handeln – anstatt immer auf die anderen zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange!

Nein, dies wird nicht leicht – und ist auch nicht schnell gemacht. Aber: Wir haben eine hervorragende Chance, wenn wir das nutzen, was das Erfolgsrezept der letzten Jahrzehnte war: ein gutes kooperatives Miteinander mit einem klaren gemeinsamen Ziel: einem starken, prosperierenden Europa. Auf gehts!